Habe ich das Zeug zu einem richtigen Schriftsteller?

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Selbstzweifel sind der natürliche Feind eines jeden Künstlers. So fragen sich auch viele angehende Autoren, ob sie tatsächlich das Zeug zum Schriftsteller haben bzw. ob sie wirklich ausreichendes Talent für diesen Beruf mitbringen. Sie lassen leichtfertig andere Leute ihre Entwürfe, ihre Manuskripte bewerten oder fragen gar ihre Lehrer, Professoren oder „anerkannte Autoritäten“, um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, die ihnen unter den Nägeln brennt. Auch Frank Fabian (Horst Mehler), der Autor unserer Schreibserie, erhält immer wieder solche Fragen – und hat eine durchaus überraschende Antwort für die Fragenden parat.

Kommen wir auf eine Frage zu sprechen, die tatsächlich immer wieder aufgeworfen wird und die nicht eben von geringer Bedeutung ist: Viele angehende Autoren fragen sich sehr ernsthaft, ob sie tatsächlich das Zeug zu einem Schriftsteller haben  oder nicht. Immerhin greift man mit diesem Berufswunsch nach den Sternen. Man strebt eine Identität an, die weit jenseits des normalen, spießbürgerlichen Daseins angesiedelt ist. 

Auch ich höre diese Frage immer wieder. Einige Autoren senden mir ein paar Zeilen zu, die sie verbrochen haben, und fragen mich dann in aller Naivität an, ob sie das Zeug zu einem Schriftsteller besitzen. Ich fühle mich dann immer ein wenig an Voltaire erinnert, den größten aller französischen Schriftsteller, den einst ein deutscher Bürgermeister aufsuchte, der ihm die Frage stellte: „Monsieur Voltaire, können Sie mir verraten, ganz im Vertrauen, ob Gott existiert oder nicht?“ Hierbei handelt es sich um eine wahre Begebenheit. Natürlich schmunzeln wir alle über diesen deutschen Bürgermeister. Was nun die hehre Schriftstellerei angeht, so widerfährt mir manchmal etwas Ähnliches: Blutjunge, angehende Federfuchser fragen mich, ob sie zum Schriftsteller taugen oder nicht.

Innerlich zittern sie dann ein wenig und blicken mich aus weit aufgerissenen Augen an. Von meiner Antwort, so glauben sie, hängt in der Folge ihr ganzes künftiges Schicksal ab. Nun, ich habe für alle diese Autoren nur eine Antwort. Sie lautet: „Wenn du es nicht weiß, so weiß es niemand!“ Sprich: Nicht meine Bewertung über die Qualität oder Nichtqualität einer Schreibe ist ausschlaggebend. Nicht ich bin der Meister aller Meister und kann von der Kanzel herab sozusagen bestimmen, wer zum Autor berufen ist und wer nicht. Nicht ich bin die letzte Instanz, die ein Talent beurteilt. Es gibt im Grunde auch keinen einzigen anderen Kritikus oder „Experten“, der darüber Auskunft geben könnte. Die letzte Instanz ist immer das Individuum selbst.

Wenn eine Person hart und hingebungsvoll daran arbeitet, Autor zu werden, und sich die Finger wundschreibt, wenn sie ihre Fingerkuppen blutig tippt, wird sie es eines Tages schaffen. Aber wenn sie glaubt, dass sie so eben aus dem Handgelenk nur ein flottes Drehbuch hinzuwerfen braucht oder einen kleinen, gekonnten Zweizeiler, wird sie auf die Nase fallen.

Es gibt ganz andere Gründe als jene, die allgemein angenommen werden, die den Erfolg oder Nichterfolg eines Autors bestimmen: Es ist eben nicht das „angeborene“ Talent. Ich kenne Autoren, die mindestens 100-mal so begabt waren wie ich, was die Kunst, gekonnt Worte aneinander zu kleistern, angeht, aber keinem gelang es je, auch nur ein einziges Buch zu veröffentlichen. Ich begegnete diesen hoch begabteren Autoren unter anderem im ZDF, wo ich eine Zeitlang tätig war und Filmbeiträge zusammenschusterte. Und trotzdem fielen sie auf die Nase, während es mir gelang, mehrere Bestseller zu verfassen. Der Grund? Diese Autoren schrieben nicht genug, sie schrieben nicht regelmäßig. Sie waren so betrunken von ihrem Talent, dass sie glaubten, die Fans müssten vor ihnen reihenweise rechts und links auf die Knie fallen, wenn sie nur vorüberschritten. Sie waren besoffen von Ihrem eigenen Ego.

Gute Autoren, gestandene Autoren, schreiben unendlich viel. Sie schreiben jeden Tag. Sie saugen jedes Zipfelchen Know-how auf, was die Schriftstellerei angeht. Sie feilen unablässig daran, noch besser und besser zu werden. Sie sind Qualitätsfanatiker. Und sie stellen nie anderen die Frage, ob sie auch tatsächlich das Zeug dazu haben, ein Schriftsteller zu sein. 

Es gibt wenigstens 50 Spannungstechniken. Wenn man sie beherrscht, kann man einen Text so schmackhaft, so lecker, so unwiderstehlich aufbereiten, dass der Leser einfach weiterlesen muss. Es gibt weiter rund 120 rhetorische Techniken, die auch für den Schriftsteller Gold wert sind. Zumindest ein Fünftel davon sollte er kennen und anwenden. Cicero (106 – 43 v. Chr.), der große römische Schriftsteller, Anwalt, Konsul, Philosoph, und der berühmteste Redner Roms, hielt die meisten davon in seinem Buch „De oratore“ (Über den Redner) fest. Jeder Bestsellerautor verfügt zudem über seine eigenen Methoden, die Aufmerksamkeit des Lesers zu bannen. Man braucht sich lediglich die Frage zu stellen, während man die Bücher eben dieses Bestsellerautors verschlingt: „Verflixt, warum lese ich überhaupt weiter?!?“ 

Jeder Bestsellerautor verrät seine Techniken direkt oder indirekt in seinem eigenen Buch –  man muss nur die Augen aufmachen. Man muss fähig sein zur Analyse. Und schon kommt man den unglaublichsten Schreibtechniken auf die Spur. Und so beantwortet sich die Frage, ob Sie das Zeug zu einem Schriftsteller haben, eigentlich von selbst. Die bessere Frage würde lauten: „Sind Sie bereit, unendlich viel zu schreiben, jedes Zipfelchen Technik zu erlernen, Hunderte von Absagen einzukassieren und dennoch weiterzufabulieren?“ 

Der Weg zum professionellen Autor ist steinig, machen wir uns nichts vor. Es wird einem Schriftsteller nichts geschenkt. Die Konkurrenz ist erdrückend. Und dennoch ist es möglich, Erfolg zu haben. Doch halten wir noch einmal diesen wichtigen Punkt fest: Die einzige „Autorität“, die Sie akzeptieren dürfen, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob Sie das Zeug zu einem Schriftsteller haben oder nicht … sind Sie selbst. Nicht ich. Kein Kritikus. Kein „Experte“.

Diese kleine Wahrheit nimmt eine beträchtliche Verantwortung von meinen Schultern. Und bürdet sie Ihnen auf. Und genau da gehört sie auch hin. Wenn Sie nicht selbst an sich glauben, werden auch andere nicht an Sie glauben. Alles beginnt und endet mit Ihnen selbst. Nehmen Sie trotzdem nicht an, dass es sich hierbei um eine unangenehme Wahrheit handelt. In Wirklichkeit „bevollmächtigt“ Sie diese Wahrheit, d.h., sie stattet Sie mit Macht aus. Plötzlich sind Sie der feste Punkt im All, niemand anders. Wetzen Sie also weiter Ihren Griffel und fragen Sie nie mehr eine andere Person, ob Sie das Zeug zu einem Schriftsteller haben. 

 

Von am 05.06.2023


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